Hana Usui. Drawings on paper. 2006–2012
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Hana Usui
Affektstrich und Explosionsblatt
Bernhard Maaz
Poetische Blätter liegen im Raum, weiße Rahmen mit zarten grauen, wolkig wirkenden Blättern, auf denen sich kräftige Linienschwünge strecken, kreuzen oder winden, hängen an den Wänden. Hana Usui wirkt bescheiden und im ersten Moment sogar etwas verschlossen. Es bedarf einiger Zeit, um ins Gespräch zu kommen, dann aber spürt man hinter vermeintlicher Sachlichkeit und offensichtlicher Zurückhaltung große Vitalität, wache Beobachtung und sprudelnde Emotionalität. Zunächst scheint die japanische Prägung im Vordergrund ihrer Wirkung zu stehen. Ab jenem Moment aber, da man Zeuge einer ihr im sich entwickelnden Gespräch begegnenden kleinen Freude wurde, sieht man einen anderen Menschen: Freude äußert sich bei ihr nicht in vielen Worten, sondern in energetischen Gesten, in blitzartiger Gespanntheit der Körperhaltung, im wortlosen Augenblitzen. Eine solche Begebenheit und Begegnung verdankt sich vielleicht nun schon längerer persönlicher Bekanntschaft, und zugleich ist das auch die Grundlage besseren Kennens der Person ebenso wie tieferer Kenntnis des Werkes oder gar intensiveren Verständnisses seines Wesens.
Hana Usui benutzt gerne das stoische Quadrat als Bildformat. Sie legt oft zwei Papierschichten übereinander, wobei die beiden Lagen aus ganz unterschiedlichen Papieren bestehen können und damit ungleiche Grade der Transparenz und Transluzenz aufweisen. Das Papier ist für sie nicht nur Träger der zweidimensionalen Zeichnung, wie man das traditionell seit Jahrhunderten kennt, sondern es ist auch Teil eines dreidimensionalen Bildkörpers. Deshalb läge vielleicht später einmal die Beschäftigung mit „skulpturalen“ Papierarbeiten nahe.
Oftmals liegen nur wenige Striche auf einem zweilagigen Blatt, dessen untere Ebene getuschte Partien aufweist. Man könnte das mit dem System mittelalterlicher Glasfenster vergleichen, wenn die beiden Ebenen korrespondierende Binnenstrukturen aufweisen würden. Es ist jedoch eher so, dass sie wie ein Wechselspiel von Nähe und Ferne, von Unendlichem und Konkreten wirken: wie ein Gras vor dem Himmel, wie eine Strohblume vor der Wand, wie ein Wald vor der Wolke. Diese Dialektik von Nähe und Ferne ist höchst bemerkenswert, doch mit den hier gegebenen Assoziationen wird auch deutlich, wie stark der europäisch geschulte Blick in dem Formenspiel nach Wiedererkennbarkeit sucht und damit eine Verbalisierbarkeit von Formen suggeriert, die – wie sich letztendlich im Gespräch zeigt – gar nicht primär intendiert ist.
Die Striche und Schwünge sind nicht abbildhaft: Sie entstehen aus Energieflüssen, aus Körperbewegungen der Hand oder des Armes auf und über dem Papier. Die Werke werden dabei nicht auf Staffelei oder Reißbrett, auf Tisch oder Tafel bearbeitet, sondern auf dem Fußboden liegend: Aufsicht gewährt Einsicht. Die Gesten wiederum werden nicht mit einem Bleistift vollführt, sondern als ritzende Durchzeichnungen auf einem festen Untergrund, so dass die darunter liegende schwarze oder weiße Ölfarbe an der Blattrückseite haftet. Es wirkt geradezu unwahrscheinlich, dass diese Durchdrückungen (dem Wesen nach sind es Monotypien) mit einem Nagel oder einem Schraubenzieher bewerkstelligt werden, aber – es ist so. Auf dem weichen Papiergrund agiert ein hartes Werkzeug, gleichsam eine Zeichenwaffe. Diese Kombination wirkt höchst überraschend und fast befremdlich – erst recht, wenn man bedenkt, dass Hana Usui von der japanischen Kalligraphie herkommt, bei der mit weichem Tuschpinsel in wohlüberlegter Gestik besonnenen Schreibens jene Zeichen entstehen, denen ihre intellektuell kontrollierte und emotional unterkühlte Genese anzusehen sind.
Die energetisch ausstrahlenden, untereinander aber doch in einem engen räumlichen Konnex stehenden Strichgefüge mancher Blätter erinnern noch immer an diese künstlerische oder vielmehr kulturelle Herkunft, von der sich die Künstlerin aber ausdrücklich zu lösen wünscht. Ja, im Gespräch wird sogar deutlich, wie sehr sie schon während des Kalligraphiestudiums danach strebte, sich von den Regularien japanischer Kalligraphie zu lösen und sich ihnen zu entziehen. Vielleicht rührt das Kraftvolle und Aufbegehrliche mancher Arbeit gerade von diesem Abstoßungsprozeß her.
Hana Usui hat sich gänzlich von der Kalligraphie getrennt. Sie malt weder Schriftzeichen noch bezieht sie sich in irgendeiner Weise auf diese: Sie versteht sich grundlegend als Zeichnerin und freie bildende Künstlerin. In großen graphischen Sammlungen, die in ihrer Systematik stark aufgefächert sind, muss man sich nun etwa die Frage stellen, ob diese Blätter noch mit Fug und Recht der asiatischen Kunst zugerechnet werden dürfen? Hie und da dürfte das noch die Praxis sein, aber das erweist sich als Anachronismus. Hana Usui lebt seit mehr als einem Jahrzehnt in Europa, und sie möchte, dass ihre Kunst nicht eingrenzend als die einer Asiatin bewertet wird, sondern dass man ihrem Lebensentwurf, ihrem europäischen Lebensraum und ihrer selbstgewählten Sozialisierung gerecht wird und sie auch der europäischen respektive der „westlichen“ Kunst zurechnet, die ja ihrerseits auch das Spiel der Lineamente und Notate, der Abbreviaturen, Abstraktionen und Assoziationen kennt.
Im Gespräch über diese Blätter stellen sich Neologismen ein: man findet unwillkürlich solche Wörter wie „Explosionsblätter“ oder „Affektstriche“, aber an anderen Stellen fühlt man sich an Noten aus einem Antiphon oder an die Dorne von Walzen einer Spieluhr oder eines Automatophons erinnert: Der An-Klang ist wohl nicht zufällig, denn die Rhythmik der Bewegung hat sich niedergeschrieben, und man vermeint sogar das regelmäßige Klacken des Schraubenziehers auf dem harten Untergrund zu vernehmen – als eine Musik des Schöpfungsaktes.
In etwas vergröbernder Verkürzung könnte man über viele Blätter sagen, dass sich hier Kalligraphie in die Kartographie einer inneren Lebenswelt verwandelt hat. Gekreuzte wirken wie Handlinien, aus denen eine Wahrsagerin die Lebensschicksale ablesen zu können vermeint. Parallellagen richten sich auf wie ein Gestänge, wie Grasbüschel, wie karges Geäst. Hat es Sinn, (heutigentags oder generell) solche Kunst zu machen, fragt Hana Usui stoisch. Ihre verzögert gegebene eigene Antwort lautet, der Sinn liege darin, eine Idee von eigenen Gefühlen zu geben. Da diese Idee sich als Chiffre nach- und miterlebbar darbietet, fordert sie zur Anteilnahme auf. Schon allein aus einer solchen Einladung zur Empathie wäre hinreichende Berechtigung abzuleiten zu dieser Art von auskristallisiertem Ausdruckstanz. Denn auch ein solcher Vergleich erscheint legitim – weil die emotional generierten Körperbewegungen dem Blatt einbeschrieben bleiben.
Die Kunst von Hana Usui offeriert interpretatorische Angebote verschiedenster Couleur. Man kann zuweilen fragen, wo oben und unten sei, kann über die Formen kontemplieren, die Lineamente verfolgen, die Assoziationen spielen lassen. Es sind niemals Blätter wie die Rorschach-Tests, mit denen man unwillkürlichen Ideen und Einfällen beim Betrachter nachspürt und dem Unterbewussten auf die Schliche kommen soll. Es sind immer Traumangebote, denen auch ein gewisses Maß an Diskretion anhaftet. Zu dieser Transzendenz trägt freilich auch bei, dass die ehedem noch benutzten gelblichen inzwischen den rein-weißen Papieren gewichen sind: auch das ein Schritt zur Entkörperlichung.
Man kann in den Darstellungen gegenständliche Formen finden, aber man muss akzeptieren, dass der gestische Charakter dominiert und dass das Wechselspiel von kontrollierten, dezent ausbrechenden, vital überbordenden, dann wieder gebremsten Strichen weniger aus Kalkül als vielmehr aus Intuition entspringt. Wenn Hana Usui heute behauptet, dass seit ihrer Übersiedelung von Berlin nach Wien in ihrem künstlerischen Leben nicht viel passiert sei, so möchte man – wenn es einem zustünde – entgegnen, das sei ja eben das Gute, weil dadurch Zeit für innere Reifung war. Die Rückkehr nach Wien kann man aber auch anders deuten, nämlich als das Anknüpfen an die Kunst der fragilen Lineamente, die hier seit Gustav Klimt und Egon Schiele beheimatet ist.
Hana Usui werfe, so ihr Credo, wohl die Hälfte aller Blätter alsbald weg, weil sie nicht Bestand haben vor der strengen selbstkritischen Beurteilung. Kunst wird im Schöpfungsprozeß errungen, in Selbsturteilen hinterfragt und mit menschlichen Erfahrungen erkämpft: Das war bei Petrarcas Laura-Sonetten, bei Shakespeares Dichtungen und bei Wilhelm Müllers respektive Franz Schuberts Liederzyklen nicht anders als heute. Die Künstlerin fühle sich durchaus besonders gut, wenn sie Arbeiten vernichtet hat, die vor ihrem Werturteil nicht bestehen. Dieses Erringen und Erkämpfen, aber auch diese erstaunliche Einsicht in das Befreiende des Verzichtens und des Vernichtens von Ungenügendem spürt man auch in Hana Usuis Werken. Der Nagel, die Ritzung oder Reibung, die Papierhaut und die Durchsichtigkeit – all dies zeugt von einem sehr spannenden Wechselverhältnis von Härte und Weichheit, von Energie und Materie, von vita activa und vita contemplativa. Die Verletzlichkeit der Papierhaut macht sie menschlich, und diese Dimension gibt den Blättern eine humane Bedeutung.
Zur Person: Prof. Dr. Bernhard Maaz ist Direktor des Kupferstich-Kabinetts und der Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden.
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„Den Anfang bildet eine Linie am Horizont,
wo vorher beinahe gar nichts war.
Erst danach gibt es ein Oben und ein Unten,
ein Rechts und ein Links,
ein Vorne und Hinten, einen Anfang und ein Ziel:
Einkreisung unseres eigenen Lebens.
[…] Aus einem Punkt entsteht die Welt,
aus zwei Punkten ein Leben, das eine Linie ist.“
Manlio Brusatin, Geschichte der Linien,
(ital. Originalausgabe: Turin 1993), Berlin 2003, S. 7 und 12
Der Linie auf der Spur
Zu den Zeichnungen von Hana Usui
Andreas Schalhorn
Hana Usui ist eine Zeichnerin, deren Werk sich einer vorschnellen stilistischen Einordnung beziehungsweise generellen Beurteilung erst einmal entzieht. Dies allein könnte man bereits eine besondere Qualität ihres Werkes nennen. Auch wenn heute im internationalen Kunstbetrieb eine Vielzahl zeichnerischer Idiome existiert, es bestimmte Moden und Attitüden des Zeichnens gibt, so lässt sich Hana Usuis zeichnerischer Ansatz nicht so leicht verorten. Modisch, also einem kurzlebigen Trend geschuldet, muten die Werke schon gar nicht an. Ganz im Gegenteil wird man die einfachen und in dieser vermeintlichen Einfachheit so komplexen Liniensetzungen für etwas Zeitloses, gar Klassisches erachten.
Diese produktive Irritation hinsichtlich der künstlerischen Verortung der Zeichnungen von Hana Usui hängt wesentlich mit der Besonderheit zusammen, dass sich die Japanerin in ihrer Heimat anfänglich dem streng reglementierten Medium der traditionellen, dann aber auch der experimentell-avantgardistischen Kalligraphie verschrieb, ehe sie sich von den festen Regeln dieser skripturalen Technik befreite und den ‚westlichen’ Weg einer Künstlerkarriere als freie Zeichnerin einschlug. Hierbei allerdings wurden, was die Ästhetik der Werke angeht, keineswegs alle Brücken zu den eigenen, erfolgreichen kalligraphischen Anfängen in Japan abgebrochen. Dies erkennt man etwa an der Wahl des Papiers und den malerisch auf einem zweiten, die eigentliche Linienzeichnung hinterfangenden Blatt eingesetzten Tuschelavierungen. Allerdings kommt es auch zu einer bewussten Distanzierung von diesem kulturellen Background. Der Einsatz der Ölfarbe gehört hierzu, besonders aber das mit dem Schraubendreher als Zeicheninstrument praktizierte monotypische Durchdruckverfahren, das die folglich seitenverkehrte Linienzeichnung auf der Blattvorderseite entstehen lässt.
Im Unterschied zu vielen zeitgenössischen japanischen Künstlern, die auf dem Kunstmarkt mit verschiedenen Ausdrucksformen des Figurativen reüssieren – man denke nur an die in Berlin lebenden Künstler(innen) Leiko Ikemura, Chiharu Shiota und den gleichaltrigen Takehito Koganezawa –, sind Usuis Arbeiten bei allen figurativen, und das meint auch allen vegetabilen, architektonischen und landschaftlichen Anklängen als abstrakt zu bezeichnen, beziehungsweise, wie Bernhard Maaz in seinem Text so treffend ausführt, einer inneren Wirklichkeit der Künstlerin verpflichtet. Vielleicht ließe sich von einer individuellen ‚lyrischen Abstraktion’ sprechen, wäre diese Wendung nicht schon als Synonym für die Malerei einiger Protagonisten des europäischen Informel im Umlauf. Im Unterschied zu den oben genannten Künstlern, die auch in anderen Medien arbeiten, konzentriert sich Hana Usui allerdings ausschließlich auf die Zeichnung. Was sie als Künstlerin zu sagen hat, will sie auch nur zeichnend sagen beziehungsweise zeigen.
Betrachtet man einen Teil ihres Werkes, das etwa in den Jahren 2007 und 2008 aus mehreren gestischen entwickelten Arbeiten besteht (vgl. etwa Abb. S. 24–25), so finden sich leicht formale Analogien zur besagten Kunst des Informel, einer malerischen Stilrichtung der 1940er und 1950er Jahre, die teilweise auch in freier Auseinandersetzung mit der japanischen Kalligraphie entstand und vereinzelt von japanischen und chinesischen Kalligraphen rezipiert wurde. Besonders Hans Hartung (1904–1989), der seine Zeichnungen, Gemälde und Druckgraphiken aus gestischen Strichverläufen aufbaute, ist hier als Protagonist des Informel zu nennen. Dieser Konnex bewegte den Verfasser dieser Zeilen 2010, eine von vier am Berliner Kupferstichkabinett befindlichen Zeichnungen Hana Usuis (Abb. S. 39) in das Ausstellungsprojekt „Vom Esprit der Gesten. Hans Hartung, das Informel und die Folgen“ mit einzubeziehen. Im Rahmen der in Berlinc und Papenburg gezeigten Ausstellung wurde das quadratische, in Berlin entstandene Blatt aus dem Jahr 2008 einer Lithographie Hans Hartungs aus dem Jahr 1963 („L 101“) gegenübergestellt. Hartung ritzte in die präparierte Oberfläche der steinernen Druckplatte ein ganzes ‚Büschel’ vertikal verlaufender, sich teilweise überlagernder und damit verdichtender Linien, die im Druck vor schwarzem Grund weiß erscheinen – also den Papierton annehmen. (Weiße Linien auf schwarzem Grund finden sich übrigens auch im OEuvre von Hana Usui, hier nun allerdings mit weißer Ölfarbe vor schwarzem Tuschegrund entwickelt – vgl. das vom Duktus und Motiv her Hartung nahestehende Werk auf S. 58–59.) Das in der Ausstellung mit Hartungs Graphik konfrontierte Blatt von Hana Usui zeigt eine mit schnellen Schwüngen zu Papier gebrachte zweiteilige Linienfiguration: scherenförmig zueinander stehende, sich teilweise überlagernde und verstärkende Linien kreuzen sich im Bereich der vertikalen Mittelachse des Blattes, so dass an dieser Stelle, in der Nähe des oberen Bildrandes, eine Art Knoten entsteht. Hinzu kommt am rechten Rand eine Folge weiterer Linien, die in leichter, segmentförmiger Biegung das Zentrum des Linienbündels echohaft umfangen und – zum oberen Blattrand strebend – abschirmen. Das Zusammenspiel der bis an den Blattrand und darüber hinaus drängenden Linien, das abstrakte gestische Chiffren bildet (ein wenig mag man auch an Cy Twombly denken), geschieht mit größter Freiheit, Intuition und Präzision, die noch Usuis kalligraphische Anfänge – nun mit neuer Stoßrichtung – erahnen lassen. Gleichwohl findet sich bei ihr nicht der für Hartung trotz aller Impulsivität der Setzung typische Hang zum spielerisch obsessiven Durchdeklinieren gestisch entwickelter Spuren. Bei Usui hingegen, und das betrifft auch konkrete Werkgruppen, werden die Linienfindungen niemals zur Manier, bleiben vielmehr Behauptung und Abenteuer. So wird das tastende, lesende, wandernde Auge des Betrachters durch den Nuancenreichtum und die Vielfalt der Blätter immer wieder neu herausgefordert. Beliebig oder routiniert ist da nichts, auch wenn sich wie von Zauberhand eine feine Balance der oft wie schwebend im Bildraum angeordneten Lineamente einstellt.
Die vorliegende Werkübersicht macht deutlich, dass allein das Gestische als Charakteristikum nicht ausreicht, um dem Wesen von Usuis teilweise radikal reduzierter Zeichenkunst – manche Werke bestehen aus nur einer Linie (Abb. S. 29)! – gerecht zu werden. Vielmehr lotet die Künstlerin immer wieder mit neuen Vokabeln und frischem Impetus die Sprachmöglichkeiten und Charaktereigenschaften aus, die sich aus der Interaktion einer oder mehrerer Linien mit und auf dem Papier ergeben. Hinzu kommen bisweilen als Ergänzung die auf einem zweiten, fest hinterlegten Blatt befindlichen Tuschlavierungen. Wo sie eingesetzt werden,bilden sie zusammen mit der Papierstrukturdes ersten Blattes der Zeichnung den Umraum und das Ambiente der Linien. Diese können sich mitunter ‚runden’, um einzelne Formen zu konturieren (vgl. Abb. S. 33), doch ist eine rein abbildhafte Figuration nicht Sache der Künstlerin. Es ist vielmehr die in ihrem Charakter, ihrer Statik und ihrem Temperament so wandelbare, bewegliche Linie, der sich Hana Usui verschreibt.
Mit dieser essentiellen Beschäftigung mit den Sprachmöglichkeiten der linienbasierten Zeichnung steht Hana Usui nicht alleine dar. Man denke etwa in Deutschland an Künstler wie Hanns Schimansky, Thomas Müller oder Katharina Hinsberg, die gleichwohl methodisch und stilistisch unter ganz anderen kulturellen Vorzeichen – etwa vor dem Hintergrund der Moderne von Paul Klee bis zur Minimal Art – der Linie auf die Spur kommen. Hana Usuis Kunst ist und bleibt daher einzigartig, was die Sensibilität und Radikalität ihrer Zeichnung als Zeichen-Setzung anbelangt. Sie überwindet die Kalligraphie und macht doch deren Geist auf neuer Ebene für die Kunst fruchtbar. Damit bereichert sie den so komplexen zeichnerischen Diskurs der Gegenwart auf unnachahmliche Weise mit ihrer Version einer ‚Geschichte der Linien’.
Zur Person: Dr. Andreas Schalhorn ist Kurator und Referent für moderne und zeitgenössische Kunst am Kupferstichkabinett – Staatliche Museen zu Berlin.
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Hana Usui
Affective Stroke and Explosive Sheet
Bernhard Maaz
Poetical drawings lie scattered across the room, white frames hang on the walls, surrounding delicate cloud-like grey sheets of paper, with powerfully curved lines sprawling, crossing, or meandering. Hana Usui makes an unassuming impression and even seems somewhat withdrawn at first. It takes a while to get the conversation going, but then you can feel a great vitality, keen observation, and effervescent emotionality behind her apparent soberness and obvious reservation. Initially, her Japanese roots seem to take the upper hand. Yet from the moment you witness a spark of joy in her that has been ignited during the conversation, you see a different person: she does not express joy verbosely but rather through energetic gestures, through a sudden tension seizing her body, through some wordless twinkle in her eyes. Such an incident and such an encounter may be owed to a longer personal acquaintance, yet simultaneously they are a prerequisite for getting to know this person better, for acquiring a profounder knowledge of her work or even a more intensive understanding of its nature.
Hana Usui prefers the stoical square as a format for her pictures. She frequently lays two sheets of paper on top of each other, sometimes using kinds characterized by entirely different degrees of transparency and translucence. The paper is not only a support for the two-dimensional drawing as it has traditionally been employed over the centuries, but it also forms part of a three-dimensional pictorial body, suggesting the artist’s possible re engagement with ‘sculptural’ paper works at some point in the future.
Often, only a few strokes are spread on to the two-layered sheet, parts of whose lower tier have been treated with ink. One might compare this to the method used in medieval stained-glass windows, if both layers were to show corresponding internal structures. Yet it is rather the interplay between nearness and distance, between infinity and concreteness that takes effect here: like a blade of grass against the sky, a strawflower against a wall, a forest against a cloud. This dialectic between nearness and distance is highly remarkable, although the associations offered here also clearly reveal how eagerly the Europeantrained eye looks for recognizability in this maze of form, thereby proposing a verbalization of the shapes that – as is eventually revealed during our talk – has not primarily been intended at all.
These strokes and curves are not meant to depict: they result from energy flows, from bodily movements of the hand or the arm on and across the paper. The works are thereby handled not on the easel or drawing desk, nor on the table or board, but rather when lying on the floor: the view from above being a guarantor of insight. The gestures, in turn, are not carried out with a pencil but as drawn incisions against a firm ground, so that the black or white oil paint underneath adheres to the reverse side of the sheet. It seems almost implausible that these penetrations (monotypes by nature) are made with a nail or screwdriver; yet this is exactly how it happens. The soft ground of the paper is treated with a hard tool, comparable to a ‘drawing weapon’. This combination produces a highly surprising and almost disconcerting effect – all the more so considering that Hana Usui’s origins lie in Japanese calligraphy, whereby a soft ink brush and deliberate gestures of meticulous script bring about the signs whose intellectually controlled and emotionally reserved genesis is all too obvious.
Some of the sheets, whose patterns of strokes radiate a peculiar energy while correlating within a narrow spatial context, are still reminiscent of those artistic, or rather cultural, roots from which the artist explicitly wishes to detach herself. During the conversation it turns out that she strove to break free from the rules of Japanese calligraphy even while she was still studying it. The powerful and rebellious aspect of many a work may result from this process of detachment.
Hana Usui has come to entirely abandon calligraphy. She neither paints Japanese characters nor does she hark back to them in any fashion whatsoever: she essentially sees herself as a draughtswoman and visual artist. In large graphic-art collections, which rely on a system ofstrict categorization, the question would arise whether these drawings could justifiably be classed as Asian art. Now and then this may still be the practice, albeit an anachronistic one. Hana Usui has been living in Europe for more than a decade now, and she does not want her art to be reduced to merely that by an Asian artist. She expects her conception of life, her European living environment, and her freely chosen socialization to be taken into account and to be consequently attributed to European or ‘Western’ art, which for its part also knows the play of line and annotation, the abbreviations, abstractions, and associations.
Talking about these sheets provokes neologisms: such expressions as ‘explosive sheets’ or ‘affective strokes’ come to mind involuntarily while in other places you are reminded of the tones from an antiphon or the pins on the cylinder of a musical clock or automatophone. Such allusions may not be entirely coincidental, for the rhythm of the movement has been committed to the paper, and you might even think you perceive the regular click of the screwdriver against the hard ground – like the ‘music of creation’.
Simply put, one could say about many of the drawings that within them calligraphy has been translated into the cartography of an inner lifeworld. Crossing lineaments resemble the lines of a hand from which a soothsayer believes to be able to tell a person’s destiny. Parallel strokes rise like an arrangement of poles, like tufts of grass, like barren branches. ‘Is it meaningful to produce such art (today and in general)?’ asks Hana Usui stoically and hesitantly answers the question herself by saying that the meaning is to convey an idea of one’s own feelings. Since this idea presents itself as a cipher to be comprehended and relived, it encourages the spectator’s participation. Such an invitation to empathize alone would be sufficient justification for this form of crystallized Expressionist dance. This analogy, too, appears to be legitimate, for the emotionally generated movements of the body remain inscribed in the sheet.
Hana Usui’s art lends itself to a multifaceted spectrum of interpretations. At times you may wonder about which is top and which is bottom; you may contemplate the forms, follow the course of lines, or play with associations. These sheets are never like Rorschach tests, which help detect hidden ideas in the spectator and which are said to lead the way to the unconscious. They always offer dreams characterized by a certain measure of discretion. That the yellowish tone of the paper previously used has meanwhile given way to pure white certainly contributes to this transcendence: a further step towards disembodiment.
One may indeed detect concrete forms in these pictures, yet one must accept that the gestural approach is predominant and that the interplay of strokes – be it controlled, discreetly erupting, vitally exploding, or once again decelerated – stems from intuition rather than from calculation. When today Hana Usui claims that not much has happened in her life as an artist since her move from Berlin to Vienna, one might – if one were entitled to do so – respond that this was a good thing, a sign of an inner maturity developed over time. However, her return to Vienna may also be interpreted differently, namely as a reference to the fragile lines that have been indigenous here since the days of Gustav Klimt and Egon Schiele.
It is Hana Usui’s credo to discard perhaps as many as half of her sheets straight away, as they do not endure her severe, self-critical judgement. Art is achieved during a process of creation, questioned through selfassessment, and fought for through human experience. This is no different today than it was in the past and holds equally true for Petrarch’s sonnets to Laura, Shakespeare’s writings, and Wilhelm Müller and Franz Schubert’s song cycles. The artist says she feels particularly good when she has thrown away works that do not meet her standards. This struggle and fight, but also the astonishing insight into the liberating effect of the renouncement and destruction of what is insufficient, can be felt throughout Hana Usui’s works. The nail, the incision or friction, the paper’s surface and its translucency – all of these attest to an extremely exciting correlation between hardness and softness, energy and matter, vita activa and vita contemplativa. The vulnerability of the paper’s surface endows it with a human quality that provides these drawings with a humanistic significance.
About the author: Professor Dr Bernhard Maaz is director of the Collection of Prints, Drawings and Photographs and the Old Masters Picture Gallery, Dresden State Art Collections.
Translation by Brigitte Willinger.
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‘The beginning is made by a line on the horizon,
where before was nearly nothing at all.
Only then is there top and bottom,
right and left,
front and back, a beginning and a purpose:
circling in on our own lives.
[…] The world arises from a point,
and from two points a life that forms a line.’
Manlio Brusatin, Storia delle linee
(A History of Lines), Turin 1993
Tracing the Line
On the Drawings by Hana Usui
Andreas Schalhorn
Hana Usui is a draughtswoman whose work, first of all, defies a premature stylistic categorization or general judgement. This alone could already be called an outstanding quality of her artistic production. Although today a multitude of drawing styles exist on the international art scene, with its particular fashions of and attitudes towards drawing, it is not easy to classify Hana Usui’s approach. Her works appear even less to be fashionable or committed to some short-lived trend. On the contrary, one is inclined to define these plain linear creations, which are extremely complex despite their apparent simplicity, as timeless, if not classical. This prolific irritation in attempting to classify Hana Usui’s drawings is essentially linked to the special circumstance that the Japanese artist, when still living in her native country, initially devoted herself to the strictly regimented medium of traditional calligraphy and subsequently practised a more experimental and avant-garde type before breaking free from the stringent rules of this writing technique and deciding on a ‘Western’ artist’s career as an independent draughtswoman. Choosing this path, however, she by no means burned all the bridges connecting her to her successful calligraphic beginnings in Japan as far as the aesthetic aspect of her works is concerned. This becomes noticeable, for example, in the choice of paper and the ink wash on the underlying second sheet that serves as a painterly backdrop to the actual linear drawing. However, the artist also consciously distances herself from this cultural background. This includes, for example, her use of oil paint, but in particular a monotype printing process that is carried out with a screwdriver used as a drawing implement to produce the linear drawing on the front side of the sheet, which then consequently appears in the reverse direction.
Unlike the output of many contemporary Japanese artists succeeding on the art market with various figurative modes of expression – one is reminded of the female artists Leiko Ikemura and Chiharu Shiota or of Hana Usui’s male contemporary Takehito Koganezawa, all of whom live in Berlin – Usui’s works, in spite of their figurative, that is, vegetal, architectural, and scenic allusions, are in fact abstract or, as Bernhard Maaz so aptly points out in his text, committed to the artist’s inner reality. One might speak of an individual ‘lyrical abstraction’, were this phrase not circulating as a synonym for the painting practised by some of the protagonists of European Art Informel. Contrary to the artists mentioned above, who also work with other media, Hana Usui concentrates exclusively on drawing. It is the only medium by which she wants to express or show what she has to say as an artist.
Looking at a part of her oeuvre dating from around 2007/08 and comprising a number of gesturally developed works (see fig. pp. 24/25), one indeed finds slight analogies of form to the aforementioned Art Informel, a movement in painting during the 1940s and 1950s that partly also relied on a free interpretation of Japanese calligraphy and which, in individual cases, was adopted by Japanese and Chinese calligraphers. Hans Hartung (1904–1989), who formed his drawings, paintings, and prints from gestural strokes, should be mentioned here in particular as a chief exponent of Art Informel. In 2010, this relationship prompted the author of these lines to include one of four drawings by Hana Usui (fig. p. 39) preserved in the Museum of Prints and Drawings in Berlin in the exhibition project ‘The Esprit of Gestures. Hans Hartung, Informel and Its Impact’. Within the framework of the exhibition, which was presented in Berlin and Papenburg, a square sheet created in Berlin in 2008 was juxtaposed with a lithograph by Hans Hartung from 1963 (‘L 101’). Hartung carved into the primed surface of the stone printing plate a whole ‘tuft’ of vertical lines that partly overlapped and hence condensed, which in the print appear white on black, thus adopting the tone of the paper. (Incidentally, white lines on a black ground can also be found in Hana Usui’s oeuvre, yet here they unfold as white oil paint against a backdrop of black ink – see the work associated with Hartung in terms of rhythm and motif on pp. 58/59.) The drawing by Hana Usui juxtaposed in the exhibition with Hartung’s print shows a linear configuration, committed to paper with swift, dynamic strokes: the criss crossing lines, which in places coincide and intensify, meet around the sheet’s vertical central axis, so that a kind of knot forms near the picture’s upper margin. This is accompanied by a further sequence of lines at the right margin. Reminiscent of an echo, they enclose the centre of the linear bundle in a soft, segment- shaped curve and shield it as they run towards the upper margin. The interaction of lines that push towards the margin and beyond, forming abstract gestural ciphers (Cy Twombly might also come to mind here), is brought about with the greatest amount of freedom, intuition, and precision. These qualities are still suggestive of Usui’s calligraphic beginnings, albeit ones that push in a new direction. Nevertheless, her works do not reveal Hartung’s typical penchant for playfully obsessive variations of gesturally developed traces, which can be observed despite his impulsive strokes. By contrast, in Usui’s art – and this also holds true for her own individual groups of works – the linear configurations she comes up with are never a stylistic issue; rather, they remain statements and adventures. In this way, the spectator’s searching, reading, and wandering eye is always challenged anew by the rich spectrum of nuances and the great diversity of the sheets. There is nothing arbitrary or well rehearsed, but a fragile equilibrium arises as if by magic among the lines that frequently seem to be floating across the picture’s space.
The present review of Hana Usui’s work reveals that the gestural element alone does not suffice as a characteristic that would do justice to the nature of her sometimes radically reduced drawing – some works consist of nothing but a line on a piece of paper (fig. p. 29). The artist, with ever-new vocabulary and ever-fresh impetus, rather fathoms the possibilities of language and inherent qualities that may result from the interaction of one or several lines with and on the paper. This is occasionally complemented by an ink wash on a second sheet that is firmly attached to the first. Together with the texture of the first sheet of paper, it forms the environment and ambience for the lines as the ink wash is applied. Now and then, the lines may take on ‘round’ shapes suggesting outlines of individual forms (see fig. p. 33); yet a purely representational figuration would be beside the artist’s point. It is rather the line, so changeable and adaptable in its character, the balance and temperament to which Hana Usui is devoted.
Hana Usui is not a solitary figure in her profound preoccupation with the linguistic possibilities of line-based drawing. In Germany, artists like Hanns Schimansky, Thomas Müller, or Katharina Hinsberg also seek to understand the line, albeit under entirely different cultural prerequisites with regard to method and style – such as against the background of modernism, from Paul Klee to Minimal art. Thus Hana Usui’s art is and remains unique when it comes to the sensitivity and radicalism of her drawing – drawing (German: ‘Zeichnung’) in the sense of placing signs (German: ‘Zeichen’). Transcending calligraphy, she nevertheless makes use of its spirit for art in a new dimension. She enriches the present-day complex discourse on draughtsmanship in an unmistakable manner, with her own version of a ‘History of Lines’.
About the author: Dr Andreas Schalhorn is curator for modern and contemporary art at the Museum of Prints and Drawings – The National Museums in Berlin.
Translation by Brigitte Willinger.